Auf der diesjährigen Jahrestagung des Vereins „GAM – Gesellschaft – Alter(n) – Medien“ trafen sich Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Schweiz und der Türkei, um über die Themen Medienbilder-Stereotype-Altersdiskriminierung zu referieren. Wir werden in den kommenden Wochen Video-Interviews veröffentlichen, die wir während der Tagung mit Experten geführt haben. Den Anfang machen Dr. Martina Thiele und Helena Atteneder, die dort erste Ergebnisse ihres Forschungsprojektes über Altersbilder in den Medien präsentierten.
In der Pause sprachen wir mit den beiden Wissenschaftlerinnen über Begriffsdefinitionen und den Zusammenhang zwischen Altersstereotypen und Marketingstrategien:
Dr. Martina Thiele ist Assistenz-Professorin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Sie arbeitet an Ihrer Habilitation zum Thema „Kommunikationswissenschaftliche Stereotypenforschung“.
Helena Atteneder studiert Kommunikationswissenschaft und Geschichte an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Sie schreibt Ihre Magistraarbeit zum Thema „Generationelle Stereotype in den Medien“.
TRANSKRIPT zum Video:
Teil 1:
Sie beschäftigen sich in ihrer Habilitation mit kommunikationswissenschaftlicher Stereotypenforschung. Erst einmal unsere „Sendung mit der Maus“-Frage: Was sind Altersstereotype?
Thiele: Ich fange mal mit dem Begriff Stereotype an: Der kommt ja aus der Druckersprache und bezeichnet, dass eine Schablone hergestellt und wiederholt wurde und sie konnte mehrfach verwendet werden. Und dieses Mehrfache, diese Wiederholung, das hat ein amerikanischer Publizist, Walter Lippman, aufgegriffen und hat von Stereotypen dann auch gesprochen, wenn es um politische und soziale Phänomene ging. Und er hat eine sehr gute Definition schon 1922 gebracht, er hat einfach gesagt: „Stereotype sind Bilder in unserem Kopf“ (pictures in our head). Wenn man dann den Verlauf der Stereotypen- und Vorurteilsforschung betrachtet, dann kam immer auch sofort dazu: Es handelt sich um eine Fehlwahrnehmung – wenn es stereotyp ist, ist es falsch. Und das wird bis heute debattiert, ob Stereotype nicht auch ein Körnchen Wahrheit enthalten. Das ist eine ganz wichtige Frage: Wie wahr sind Stereotype? Sie sind immer verallgemeinernd und pauschalisierend. Dann ist auch eine wichtige Frage: Wandeln sich Stereotype? Weil es eigentlich heißt, Stereotype sind immer gleich, das bleibt so. Aber wenn wir in der Geschichte zurückschauen, dann finden wir ganz viele Belege dafür, dass Stereotype sich doch gewandelt haben. Und wenn wir speziell zu den Altersstereotypen kommen, dann stellen wir auch dort einen Wandel des Altersbildes fest.
Wenn Altersstereotype definiert werden, dann gehört implizit eigentlich auch immer eine Definition von Jugend dazu. Wir beschränken uns jetzt immer auf die wirklich alten Leute, aber das gehört zusammen: Alt wird definiert über das, was nicht jung ist und umgekehrt. Deswegen sollte man vielleicht, wenn man von Altersstereotypen spricht, zunächst diese Altersdefinition vorweg nehmen und natürlich auch klären, was man mit Stereotypen meint.
Welche Altersstereotype gibt es bezogen auf die Generation 50plus und wie haben die sich in den letzten Jahren entwickelt?
Atteneder: In der letzten Zeit kristallisiert sich heraus, dass in den Medien vor allem ein neuer Altersstereotyp, wie wir es Stereotyp nennen, propagiert wird, indem sozusagen diese jungen Alten oder die Angehörigen der Silver Generation oder Best Ager, da gibt es ja eine Menge (Original: einen Haufen) neuer Begriffe dafür, dass die vermehrt in den Medien vorkommen. Auf den ersten Blick erscheint dieses neue Bild von älteren Menschen ja eher positiv. Man wird sich denken: jetzt gibt es endlich mal auch ein anderes Bild, neben alt, gebrechlich, krank. Unsere Forschung hat sich hauptsächlich damit beschäftigt, dass wir untersuchen, wie positiv dieses Bild wirklich ist.
Thiele: Wir halten es nicht für wirklich positiv, weil man einfach auch den politischen und ökonomischen Kontext betrachten muss, in dem das verbreitet wird. Und das hat unmittelbar mit diesem Argument des demografischen Wandels zu tun, das kennen alle. Die Gesellschaft wird immer älter, es gibt immer weniger Jüngere, die in die Sozialkassen einzahlen. Unsere Hauptthese heißt eigentlich, dass dieses Argument des demografischen Wandels flankiert wird von neuen Altersbildern. Gerade auch so eine Debatte, wie die Anhebung des Rentenalters: Die Leute sind länger fit, sie sind gesund, dann können sie doch auch noch länger arbeiten. Und deswegen glaube ich, dass man diese neuen Altersbilder nie ohne Berücksichtigung dieser gesellschaftlichen Veränderungen betrachten sollte.
Atteneder: Und was dann noch hinzu kommt, ist, dass dieser neue Altersstereotyp oft als Legitimation verwendet wird, um das Pensions- oder Rentenalter zu erhöhen oder um eben politische Entscheidungen oder ökonomische Entscheidungen in eine gewisse Richtung zu drängen.
Thiele: Es ist ganz klar eine ökonomische Frage. Vor einigen Jahren hieß es, alles was über 49 Jahre alt ist, interessiert uns nicht. Als werbetreibende Wirtschaft interessiert uns die Zielgruppe 14 bis 49. Das war, glaube ich, Helmut Toma von RTL, der mal so abwertend von der „Heizdeckenfraktion“ gesprochen hat. Die Senioren und Seniorinnen müssten nicht weiter mit Fernsehprogrammen bedient werden. Das wandelt sich jetzt aber, weil diese Generation offensichtlich Geld hat. Das ist auch wieder eine sehr pauschale Betrachtung. Man kümmert sich natürlich um diese besser verdienenden Älteren, denen man Luxusreisen und Kuraufenthalte andrehen kann, aber die Ärmeren in prekären Lebenssituationen kommen nicht vor.
Wer sind eigentlich die Urheber dieser neuen Altersstereotypen?
Thiele: Es sind einmal die Marketingstrategen für die werbetreibende Wirtschaft, die diese neue Zielgruppe entdeckt haben, die konsumfreudig ist, die Geld hat. Es sind aber auch, so vermuten wir, vor allen Dingen, Angehörige der sogenannten mittleren Generation. Die sitzen in den Redaktionsstuben, die sitzen an den Schalthebeln der Macht. Und die haben natürlich auch ihre eigene Zukunft vor Augen und möchten vielleicht deswegen nicht dieses negative Altersbild haben, sondern sehen sich selber, wenn sie denn schon älter werden, lieber in einer positiven Umgebung: gesund, weiterhin leistungsfähig. Das sind ja auch die, die dann hauptsächlich diese Generationendebatte führen. Sie müssten eigentlich die Alterslast schultern und tendenziell findet man eben in der mittleren Generation sehr viele, die sich für eine Anhebung des Rentenalters aussprechen. Aber das sollte dann vielleicht nicht sie selbst betreffen, sondern wiederum die Jüngeren. So wird das Problem immer weiter gegeben. Aber es ist eben flankiert mit diesen positiveren Bildern, dass das Alter nicht nur als Bedrohung und negativ erscheint.
Woher kommt die Angst vorm Älterwerden?
Atteneder: Ich glaube, das ist jetzt meine persönliche Meinung, dass das etwas dem Menschen Ureigenes ist, dass man sich vor dem Sterben fürchtet, weil das unfassbar, unbegreiflich und nicht nachvollziehbar ist. Und natürlich ist dann dementsprechend alles, was in diese Richtung geht, und der Alterungsprozess geht unweigerlich in diese Richtung, ist dann in gewisser Weise bedrohlich und auch beängstigend.
Thiele: Und das war schon immer so. Ich glaube, wenn man dieses negative Altersbild zurückverfolgt, dann findet man Belege dafür in der Literatur, solange es Literatur gibt. Diese Furcht ist vielleicht wirklich etwas Urmenschliches. Und es wird auch immer wieder evoziert, dieses Bild des Gebrechlichen, Alten Hilflosen. Gerade auch, wenn man eigentlich vermeintlich positive Bilder benutzt. Weil das ist immer die Negativfolie. Man zeigt jemanden Junges und wenn man selber vielleicht nicht mehr ganz so jung ist, dann weiß man: Ich gehöre nicht dazu. Mir droht was anderes.
Teil 2:
Wie unterscheiden sich Altersstereotype von Männern und Frauen?
Atteneder: Erst einmal gibt es ganz eindeutig mehr ältere Frauen als ältere Männer. Natürlich betreffen die Probleme wie Altersarmut oder andere mehr Frauen.
Thiele: Und wenn wir jetzt bei den Medienbildern bleiben, dann sind die älteren Männer, wenn sie denn vorkommen, doch meist positiver gezeichnet. Also, sie haben dann so einen Expertenstatus, sagen noch mal, wie man es richtig machen kann, geben ihr Wissen an den Sohn, an die nachfolgende Generation weiter. Ältere Frauen sind eben auch immer ganz stark verbunden mit diesem Aspekt der Körperlichkeit und Attraktivität. Es gibt ja diesen Spruch: Männer werden im Alter immer interessanter. Und Frauen werden unattraktiv, alt. Und diese Geschlechterdifferenz ist ganz klar. Alter und Geschlecht muss man zusammen betrachten. Das lässt sich nicht trennen. Und wir sagen: auch noch andere Merkmale sind wichtig. Also zum Beispiel wirklich Bildung, Schicht, Klasse. Das wird komplett ausgeblendet. Der ökonomische Hintergrund wird ausgeblendet. Er ist nur dann von Interesse, wenn es darum geht, eine kaufkräftige Zielgruppe anzusprechen.
Wie reagieren eigentlich ältere Menschen auf die neuen, positiven Altersbilder?
Atteneder: Es ist interessant, dass gerade diese neuen Altersbilder bei älteren Menschen nicht unbedingt positiv aufgefasst werden. Dazu gibt es auch Ergebnisse aus der Forschung, wonach gerade ältere Menschen auf dieses neue Altersbild sehr negativ reagieren oder es als großen Druck empfinden, als unerreichbares Szenario.
Thiele: Das Problem ist: Man kann noch nicht mal mehr in Ruhe alt werden. Der Druck, an sich selbst zu arbeiten und am besten immer noch 20 Jahre jünger auszusehen als man tatsächlich ist, der ist enorm gestiegen. Ich persönlich denke für mich: Ich möchte mich diesem Druck auch irgendwann einmal entziehen können und nicht immer unter Beweis stellen, dass man irgendwie mithalten kann. Das ist genau die Reaktion, die ältere Menschen, wenn man sie mit diesem neuen Altersbild konfrontiert, auch bringen. Sie sagen: Ja, das ist ja schön und gut, aber meine Situation ist eine andere und ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet und jetzt reicht es auch irgendwann einmal. Dann habe ich halt graue Haare oder dann habe ich halt fünf Kilo zu viel auf den Hüften. Ich bin dann auch mal alt.
Die Medien kritisierten an Madonna’s MDNA Tournee weniger ihre musikalischen Qualitäten als ihr Alter, 53 Jahre. Warum machen die Medien das Alter eines weiblichen Popstars zum Thema?
Atteneder: Es ist allgemein so, dass man bei weiblichen Musikern und Popstar generell eher auf andere Qualitäten schaut als auf die Musik. Auch im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Ich persönlich mag die Musik von Madonna nicht. Ich kann dem aber insofern etwas Positives abgewinnen, da Madonna auf jeden Fall polarisiert und die Debatte am Leben erhält. Und was mich auf jeden Fall nachdenklich stimmt, dass einerseits propagiert wird, dass man möglichst lange jung bleibt und mit 50 noch aussehen soll wie mit Mitte 20. Mit Madonna haben wir jetzt ein Beispiel, wo das funktioniert und wo das perfekt umgesetzt ist. Da ist dann auf einmal wieder die Gegenbewegung, bei der es heißt: Warum kann sie nicht in Ruhe altern? Wieso wird sie nicht alt? Dieser Widerspruch wird da ganz deutlich.
Thiele: In der Populärkulturforschung gibt es diesen berühmten Madonna-Aufsatz, ich glaube von John Fiske. Da heißt es: Madonna sei ein Phänomen, Madonna würde sich ständig neu erfinden. Für mich ist Madonna eigentlich immer gleich geblieben, immer das Material Girl. Das war einer ihrer ersten Hits. In den 80er Jahren, als ich noch jünger und durchaus an Popkultur interessiert war, fand ich sie schrecklich. Es war nie eine engere Verbindung zwischen mir und Madonna. Ich habe das immer ein bisschen aus der Distanz verfolgt. Aber ich finde es jetzt, wenn man die Rezensionen zu ihrer neuen CD liest, schon sehr abwertend. Dann kommt bei mir so ein Solidarisierungseffekt auf. Und ich finde es einfach unfair, dass sie im Vergleich zu den alten Knackern, die sich auch schon seit 20 Jahren auf die Bühne schleppen, so streng bewertet wird und dann auch immer mit so einer gewissen Häme über das ewige Girlie geschrieben wird. Das ist sicher nicht fair.
Gibt es Lösungen aus dem Dilemma zwischen Jugenddiktat und natürlichem Altern?
Thiele: Erst mal nicht, jedenfalls haben wir das in unserer Studie festgestellt und auch, dass es einerseits total verlogen ist. Zum Beispiel in der Bild-Zeitung wird man immer darauf abgestellt, dass man noch leistungsfähig ist, dass man noch gut aussieht für sein Alter. Aber zum Beispiel beim Thema Schönheitsoperation ist die Bild-Zeitung sehr eindeutig: Das macht man nicht. Wenn es um das Äußere geht, dann muss man ohne Doping, ohne Schönheitsoperation in den Wettbewerb treten.
Atteneder: Es spielt auch eine Rolle, dass verbreitet wird: Man kann das schaffen, wenn man nur hart genug an sich arbeitet. Das ist natürlich…
Thiele: …der neo-liberale Selbstoptimierungsdiskurs, aber das dürfen wir nicht sagen als Wissenschaftlerinnen (sie lachen).
Was bitte ist das?
Thiele: Wir sprechen ja von einer Form des Kapitalismus, die als Neo-Liberalismus bezeichnet wird: Der Markt regelt alles, das müssen wir dem Markt überlassen. Und es sind auch nicht gesellschaftliche Strukturen und politische Entscheidungen wichtig, sondern das, was ich für mich selbst beschlossen habe. Und ich muss nur hart genug an mir arbeiten, dann kann ich alles erreichen. Das ist so wie der amerikanische Traum vom Tellerwäscher zum Millionär. Oder wie bei Madonna: das Mädchen aus kleinen Verhältnissen mit ihrem italienischen Namen und jetzt der internationale Mega-Superpopstar. Dass gerade Madonna oder eben bestimmte junggebliebene Prominente uns permanent als Vorbild in den Medien vorgeführt werden, das soll wahrscheinlich genau dazu führen, dass wir auch beschließen: Ja, ich muss nur hart genug an mir arbeiten, muss noch mehr joggen, muss noch mehr Diät machen, noch mehr Aerobic… und dann bin ich vielleicht genauso erfolgreich.