Extrem schön!?

Derzeit gibt es zwei dokumentarische Produktionen in Fernsehen und Kino, die sich mit Schönheitsoperationen beschäftigen: Das RTL II Format „Extrem Schön – Endlich ein neues Leben“, inzwischen schon seit 2009 auf Sendung, und der neue Dokumentarfilm „Schönheit“ von Carolin Schmitz, der am 04. Oktober in die Kinos kommt. Extrem unterschiedlich sind dabei auch die Sichtweisen der Macher. RTL II zeichnet ein übertrieben positives Bild, „Schönheit“ beleuchtet das Thema dagegen sehr nüchtern und distanziert.

Der Grundgedanke der RTL II-Sendung ist gar nicht so verwerflich: Menschen, die unter massiven Minderwertigkeitskomplexen leiden, wird geholfen ein neues Leben zu beginnen. Die Gründe für die Komplexe sind ebenfalls nachvollziehbar. Die fast ausschließlich weiblichen Teilnehmer leiden an schlechten Zähnen und Kieferfehlstellungen sowie in Folge von Schwangerschaften unter überlappender Haut am Bauch. Andere Teilnehmer, gelegentlich auch Männer, lassen sich die Nase oder das Kinn korrigieren. Viele der Eingriffe kann man als notwendig ansehen, doch „Extrem Schön“ geht immer noch einen Schritt weiter, um den Voyeurismus der Fernsehzuschauer zu befriedigen.

Vorher und Nachher: Die Teilnehmerinnen bei „Extrem Schön“ scheinen glücklicher und zufriedener. Foto: RTL2

Der Vorzeigechirurg der Sendung ist Professor Werner Mang, der ein ganzes medizinisches Imperium rund um Schönheitseingriffe aufgebaut hat. In einem Interview auf der Homepage des Senders erklärt er seine persönliche Auffassung zur Schönheitschirurgie: „Die Mang-Schule plädierte schon immer für Natürlichkeit, Wohlfühlchirurgie und keine übertriebenen Schönheitsoperationen.“ Wenn man die Vorher-Nachher-Bilder bei „Extrem Schön“ sieht, scheint genau dieser Effekt des Wohlfühlens erreicht zu sein. Erst sind die Patienten traurig und wirken irgendwie fahl und zum Schluss strahlen sie vor neu gewonnenem Selbstbewusstsein. Dank Make-Up und Beleuchtung erscheinen die Teilnehmer viel glücklicher als vorher. Doch von „Natürlichkeit“ kann nach der Komplett-Erneuerung „vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan“ nicht mehr die Rede sein. Nach dem obligatorischen Besuch im Schönheitssalon am Ende der OP-Tortur fühlen sich die Teilnehmer wie neue Menschen und es kommt vor laufender Kamera zur tränenreichen Familienzusammenführung. Doch für die Angehörigen sind sie dann kaum noch wiederzuerkennen.  Und auch der Fernsehzuschauer blickt am Ende auf einen äußerlich völlig neuen Menschen, der sein zukünftiges Leben ohne die Hilfe von RTL bewältigen muss.

Wie ein Leben nach Schönheitsoperationen aussehen kann, zeigt der Dokumentarfilm „Schönheit“. Hier werden wieder vorwiegend Frauen gezeigt, die bereits Veränderungen an ihren Körpern haben machen lassen. In einstudierten Monologen erzählen sie über ihre persönlichen Gründe für die Operationen, aber auch über ihr Leben. Zwischendurch treten immer wieder Chirurgen auf, die über Vorteile und Abläufe von Schönheitsoperationen sprechen. Ein Arzt wird dabei gezeigt, wie er sich selbst Botox in die Stirn spritzt. Anschließend sieht man ihn zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter, die ebenfalls beide operiert sind. Als Zuschauer muss man unwillkürlich lachen, da die Experten im Film in manchen Einstellungen eine gewisse Komik an sich haben.
Während RTL II mit einer Idealisierung von Schönheit und dem Wunderwerk der ästhetischen Chirurgie seine Zuschauer gewinnt, besticht der Dokumentarfilm „Schönheit“ durch seine subtile Komik und Ablehnung von solchem Schönheitswahn. Die Regisseurin möchte aber, dass man die Protagonisten nicht nur oberflächlich betrachtet: „Die Bilder sprechen über sich hinaus und hinter der Fassade gibt es noch viel mehr über die Protagonisten zu erfahren. Der Zuschauer muss nur genau hinschauen.“ (aus einem Interview mit der Regisseurin von S. Heidenreich auf der DOK Leipzig 2011). Der Film will ganz einfach nur darstellen und dem Zuschauer Interpretationsspielraum geben. Bei „Extrem Schön“ dagegen werden die Zuschauer mitgenommen und erleben die Emotionen der Patienten und Familienmitglieder hautnah. RTL II zeichnet ein übertrieben positives Bild von Schönheitschirurgie und will die Zuschauer vom Wohfühl-Nutzen der OPs überzeugen. Jeder ist nur eine bestimmte Anzahl von OPs davon entfernt, „Extrem Schön“ zu sein. Die Doku „Schönheit“ beginnt dort, wo RTL II aufhört und zeigt die Spätfolgen:  Das Suchtpotential dieser chirurgischen Eingriffe nach dem „ersten Mal“ und die zunehmende Übermacht des selbst auferlegten Schönheitsdiktats.

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In Deutschland werden laut DGÄP (Deutsche Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie) jährlich etwa 250.000 Schönheitsoperationen durchgeführt. Zu den beliebtesten Eingriffen bei Frauen zählen neben der Brustvergrößerung  die Fettabsaugung, laserchirurgische Eingriffe sowie die Lidchirurgie. Bis auf die Brust-OP gilt dies übrigens auch für die Männer.
(ch)

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One Response to Extrem schön!?

  1. Robert sagt:

    Ich weiß nicht, was ich von diesen Sendungen halten soll. Ich denke grundsätzlich ist Natürlichkeit immer am schönsten. Dennoch gibt es viele Menschen die sehr unter ihrem Äußeren leiden, und für diese Leute ist „Extrem schön“ eine Möglichkeit, wichtige Informationen und Erfahrungen über dieses Thema zu sammeln.
    Ich habe im Netz einiges recherchiert und bin dabei auch auf die Website eines Arztes aus „Extrem Schön“ gestoßen. Wer hier interessiert ist, kann sich dort sicher einmal umschauen.
    Für mich gilt: Man sollte niemanden verurteilen, der sich dieser Option bedient, doch wie gesagt: Natürlichkeit ist immer die beste Option.

    Gruß

    Robert

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