Real Beauty Sketches: Dove als Schönheitstherapeut – Doppelmoral oder gute Sache?

Das Kosmetikunternehmen Dove hat mit dem Videoclip „Real Beauty Sketches“ nach „Evolution“ wieder einen viralen Hit gelandet: Allein in der ersten Woche wurde das Video bereits über 18 Millionen mal bei Youtube gesehen und von Tausenden im Netz kommentiert, “geliked” oder weiterempfohlen. Die Marke hat mit der Message des Clips ins Schwarze getroffen und dürfte einen Imagegewinn erzielt haben. Die Kampagne wird aber auch kontrovers diskutiert – nicht zuletzt, weil Dove zum Konzern Unilever gehört, der mit Marken wie Axe regelmäßig für Schlagzeilen in Sachen sexistischer Werbung sorgt.

Der Werbespot wurde als soziales Experiment inszeniert: Frauen beschreiben einem FBI-Phantombildzeichner, der hinter einem Vorhang sitzt, wie sie aussehen. Ein zweites Phantombild wird nach der Beschreibung einer dritten Person angefertigt, die die jeweilige Frau zuvor kurz kennengelernt hat.

Phantombildzeichungen: links Selbstbeschreibung, rechts Selbstbild. Bild: Dove
Phantombildzeichungen: links Selbstbeschreibung, rechts Fremdbild. Bild: Dove

Am Ende konfrontiert man die Frauen mit beiden Zeichnungen. Ergebnis: Die Fremdbeschreibung schlägt die eigene Sichtweise um Längen. Fazit: Frauen sind schöner, als sie denken.
Das von der Werbeagentur Ogilvy & Mather realisierte Video polarisiert. Das sieht man bei einem Blick auf die Resonanz im Netz: Viele sind zu Tränen gerührt, einige verärgert, andere machen sich darüber lustig. Es gibt sogar schon eine Parodie: Statt Frauen werden Männer mit ihrem Selbstbild und Fremdbild konfrontiert. Am Ende weinen auch sie: Denn nach Meinung der sie bewertenden Frauen sind sie hässlicher, als sie denken.

Neben der positiven Resonanz wird der Videoclip auch kontrovers diskutiert. Kritisiert werden unter anderem folgende Aspekte:

  • Der Clip sendet genau die Botschaft, gegen die er eigentlich predigt: Schönheit ist das Wichtigste im Leben.
  • Der Clip beklagt die selbstkritische Haltung der Frauen bezüglich ihrer physischen Unvollkommenheiten und nicht die gesellschaftlichen Normen, die sie dazu veranlassen
  • Der Axe-Dove Konflikt: Beide Marken gehören zum Konzern Unilever

Im Jahr 2004 rief Dove die “Campaign for Real Beauty” (Deutschland: „Initiative für wahre Schönheit“) ins Leben. Ihre “Mission”: Frauen sollen sich von unrealistischen Schönheitsstandards in den Medien befreien und sich so wie sie sind attraktiv fühlen. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, besann man sich auf die durch einschlägige Studien abgesicherte Erkenntnis, dass Frauen ein Problem mit ihrem Bild in der Werbung haben. 2006 wurde außerdem die „Dove Aktion für mehr Selbstwertgefühl“ gestartet, die Kinder und Jugendliche ermutigen soll, ein realistisches Schönheitsideal zu entwickeln.

Axe-Werbung
Axe Werbeplakat 2013

Dieses Engagement kommt gut an. Glaubhaft ist die soziale Mission natürlich nicht: Dove ist eine Marke des großen Konsumgüterkonzerns Unilever, der unter anderem mit der Marke Axe in seiner Werbung unrealistische, sexistische Schönheitsstandards wie eh und je feiert.
Der Dove-Axe-Konflikt existiert schon länger. Mit dem Widerspruch und Glaubwürdigkeitsverlust scheint der Konzern leben zu können. Laut Focus sieht Unilever keine Doppelmoral in den Werbespots von Dove und Axe, schließlich seien die Zielgruppen grundverschieden: „Die Axe-Werbung richtet sich an 16-jährige Jungs, die eine Traumfrau vor sich sehen möchten, die ‚Initiative für wahre Schönheit‘ zielt dagegen auf jüngere Frauen und ihre Eltern”, sagte Katja Praefke, früher Pressesprecherin von Unilever, bereits zum Start beider Kampagnen. „Bei Dove vermitteln wir die Realität, bei Axe die Träume.“

Axe Werbeclip: "Je sauberer Du bist, desto schmutziger wird's."
Axe Werbeclip: „Je sauberer Du bist, desto schmutziger wird’s.“

In diesem Licht betrachtet, erscheint die “Real Beauty”-Kampagne bigott: Um die Zielgruppe zu erreichen, ist offensichtlich jedes Mittel recht. “Wahre Schönheit” für Frauenprodukte, stereotype, sexistische Frauendarstellungen für Männerprodukte.

Annegret Linder schreibt in ihrer wissenschaftlichen Arbeit “Mediale Inszenierung von Authentizität am Beispiel der Dove-Kampagne,” Dove bediene sich einer werblichen Nische, die bisher von der Industrie nicht oder nur unzureichend für Werbezwecke genutzt worden sei. Dabei gelinge es Dove sehr geschickt, die Marke mit einem Lebensgefühl zu verbinden. Durch ansprechende Emotionalität entstehe eine starke Bindung zwischen Nutzer und Produkt, die ihren Primärzweck erfülle: Profit.
 Dennoch sei die Dove-Kampagne positiv zu bewerten – als eine Entwicklung in der Werbewelt, die vielleicht einigen Menschen helfe, sich wohler in ihrer Haut zu fühlen und selbstbewusster zu sein.

Unilever Marken
Unilever Marken

Wahrscheinlich gefällt das Ergebnis dieses „Experiments“ so vielen Menschen, weil sie Frauen und Mädchen kennen, die ihr Aussehen überbewerten und unzufrieden mit sich sind. Oder weil sie selbst betroffen sind. Durch das Video wird ihnen bewusst, wie „brainwashed“ sie eigentlich sind – in einer Umwelt, die zugekleistert ist mit Axe- und anderer Werbung oder TV-Formaten wie „Topmodel“ oder „Extrem Schön“, die die Schönheit über alles stellen.
Aber ob der Unilever-Konzern dafür der richtige Therapeut ist? Eines ist sicher: Dove hat sich mit dem Clip wieder ins Gespräch gebracht und wird seine Seifen besser denn je verkaufen.

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Evolution
Video: Die Dove-Kampagne aus wissenschaftlicher Sicht

 

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