Lebenstreppen

Ikonographische Darstellungen des Alters und Lebenslaufs gab es durch alle Jahrhunderte. Um 1540 etablierte sich ein neues Motiv. Damals brachte Jörg Breu der Jüngere und Cornelis Anthonisz Holzschnitte auf den Markt, die den menschlichen Lebenslauf als auf- und absteigende Treppe darstellten.

Rad des Lebens (De Lisle-Psalter), ca. 1310, British Library
Noch keine auf- und absteigende Treppe: Rad des Lebens (De Lisle-Psalter), ca. 1310, British Library

Die höchste Stufe wird mit dem fünfzigsten Lebensjahr erreicht. Frauen verschwinden auf den Abbildungen allerdings häufig schon nach ihrem dreißigsten Lebensjahr. Die Lebenstreppen setzten sich in Europa immer mehr durch. Im 17. Jh. waren sie in den Niederlanden, in England, Deutschland, Frankreich und Italien verbreitet.

Auch Tiersymbole wurden zur Charakterisierung der einzelnen Lebensstufen verwendet, etwa 40 = Löwe, 50 = Fuchs, 90 = Esel. Die Lebensalter der Frau wurden in manchen Überlieferungen mit diversen Vogelarten verglichen: 10 Jahre = Wachtel, 20 Jahre = Taube, 30 Jahre= Elster, 40 = Pfau, 50 = Henne, 60 = Gans, 70 = Geier, 80 = Eule, 90 = Fledermaus.

Das Stufenalter des Menschen, um 1840. BIld: Wikimedia Commons
Das Stufenalter des Menschen, um 1840 (Wikimedia Commons)
Ages_of_Man_English_school
Die Lebensalter des Mannes, Englische Schule, spätes 16. Jahrhundert (Wikimedia Commons)

Im 19. Jh. hatte die Lebenstreppe wohl den Höhepunkt ihrer Popularität erreicht. 
Sie wurde in Massenauflagen gedruckt und fand Eingang in die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Die Lebensalter wurden zunehmend auch nicht mehr getrennt nach Mann und Frau, sondern als Paar auf ihrem gemeinsamen Lebensweg dargestellt.
 Die Tiersymbole verschwanden und die Kleidung der dargestellten Figuren änderte sich mit dem Zeitgeist und je nach Region. Immer öfter werden häusliche, bürgerliche Szenen integriert.

Fridolin Leiber: Das Stufenalter der Frau, um 1900. Bild: Wikimedia Commons
Frauen werden über ihre Beziehung zur Familie definiert. Nur als Kind und Greisin sieht man sie allein. Fridolin Leiber: Das Stufenalter der Frau, um 1900 (Wikimedia Commons)

Das Motiv der Lebenstreppe war im Europa des 16. bis 19. Jh.s die dominierende
 Darstellungsform des Alterns. In der Realität erreichten damals jedoch nur wenige Menschen das Ende der Treppe. Eine große Zahl gelangte nicht einmal über die erste Stufe hinaus. Viele starben mitten im Leben an Krankheiten oder Unfällen – an Altersschwäche dagegen nur wenige. In Deutschland um 1865 lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer bei etwa 34, die der Frauen bei 37 Jahren, wobei diese Zahl durch die damals hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit etwas verzerrt wird.
 Vermutlich kam der Altersphase 50+ in den Lebenstreppen der früheren Jahrhunderte auch deshalb eine so geringe Bedeutung zu. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verschwanden die Darstellungen.

The stages of life from infancy to old age, 1486 von Barholomäus Anglicus. Wikimedia Commons
The stages of life from infancy to old age, 1486 von Barholomäus Anglicus (Wikimedia Commons)

Wie würde eine Lebenstreppe heute aussehen? Saul Steinberg, der lange für das Magazin New Yorker arbeitete, hat schon 1954 eine Lebenstreppe gezeichnet, die immer noch aktuell erscheint. Die Bilder der zweiten Lebenshälfte werden einfach ausgeblendet bzw. als Dauerurlaub oder Abstellgleis dargestellt. Statt einer Abwärts-Treppe, die den körperlichen Verfall dokumentiert, steht dort einfach nur ein glatzköpfiger Mann in Bermudashorts mit Sonnenbrille unter einer Palme, im Hintergrund ein Sonnenschirm-Ensemble.

Lebenstreppe, Saul Steinberg 1954
Lebenstreppe, Saul Steinberg 1954

Das Altern ist tabu, es wird um jeden Preis vermieden und zum biomedizinischen Problem stilisiert, das man mit Anti-Aging-Produkten behandeln kann. Steinberg hat für diese Verleugnung ein witziges, geniales Bild gefunden.

1482, Vorläufer der Lebenstreppe. "(D)is (s)ein die zehen eygenschaft des altters der menschen vnd wem sie gegleich(t) werden" Bild: Wikimedia Commons
1482, Vorläufer der Lebenstreppe. „(D)is (s)ein die zehen eygenschaft des altters der menschen vnd wem sie gegleich(t) werden“ (Wikimedia Commons)

 

Jörg Breu der Jüngere: Die Lebensalter des Mannes, 1540. Bild: Wikimedia Commons
Jörg Breu der Jüngere: Die Lebensalter des Mannes, 1540. Unterhalb der Stufen sind Tierbilder (Wikimedia Commons)

 

Lebenstreppe, erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Anonym/F. Campe, Nürnberg. Wikimedia Commons
Lebenstreppe, erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Anonym/F. Campe, Nürnberg. Wikimedia Commons

 

Quellen:

Ehmer, Josef: Die Lebenstreppe, Altersbilder, Generationsbeziehungen und Produktionsweisen in der europäischen Neuzeit.

Steinberg, Saul (1954). Steinberg’s Passport. Hamburg: Rowohlt 1976.

Lucke, C und M., Gogol M: Lebenstreppen – oder wie man den Alternsprozess über die Jahrhunderte gesehen hat. In: European Journal of Geriatrics, Jg. 11 (2009), Nr. 3–4, S. 32–140

Veröffentlicht in Allgemein, Alter, Kunst, Wissen | Getaggt , , , , , | Hinterlassen Sie einen Kommentar

Bianca Jagger über Altersdiskriminierung

Die Menschenrechtsaktivistin Bianca Jagger war am 6.5. Speaker auf der Bloggerkonferenz re:publica in Berlin. In der Session Human Rights worldwide rief sie zur Verteidigung der Menschenrechte mittels sozialer Medien auf und war zusammen mit Felipe Altenfelder von Midia Ninja, einem Brasilianischen Medien-Guerilla-Netzwerk und Sanja Goel, Mitbegründer von Oximity auf dem Podium. Wir fragten Frau Jagger anschließend, wie man Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft bekämpfen kann.

Lesen fortsetzen

Veröffentlicht in Allgemein, Interviews | Getaggt , , , , , , | Hinterlassen Sie einen Kommentar

Altersbilder|Stereotype #15

www.exmodels.de
Foto: exmodels.de

Prototyp #15  : Alte Frau (diesen Prototypen hatten wir zwar schon einmal, aber das war Heidi Klum, die sich für eine Halloween-Party als alte Frau verkleidet hatte. Hier nun eine echte „alte Frau“)

Fundort: Bushaltestelle Brunnenstraße, Berlin Lesen fortsetzen

Veröffentlicht in Allgemein, Reviews, Stereotype, Werbung | Getaggt , , , , , , , | Hinterlassen Sie einen Kommentar

Konkurrenz für Barbie: Lammily, die Durchschnittspuppe

Das Photoshop-Projekt „Normal Barbie“ von Nickolay Lamm wird in die Tat umgesetzt. Er entwickelte eine Puppe mit realen Körpermaßen und wenig Make-up, die ein positives Körperbild vermitteln soll. Sie heisst „Lammily“. Durch eine Crowdfunding-Kampagne erreichte er sein Ziel, 95.000 Dollar einzunehmen in nur einem Tag.

lammily
Foto: Lamm

In ein paar Tagen endet Nickolay Lamms Crowdfunding-Kampagne Lammily – Average is Beautiful, mit der er Gelder zur Herstellung einer Puppe sammelt. Lammily hat im Gegensatz zu Barbie realistische Körpermaße, die einer durchschnittlichen 19jährigen Amerikanerin entsprechen und nach Daten von der US-Gesundheitsbehörde CDC erstellt wurden.

Der Designer Lamm beschäftigt sich mit künstlerischen Projekten rund um das Körperbild und verfolgt seit Jahren die Kritik am magersüchtigen Schönheitsideal, das Barbie vermittelt. Die Lammily-Puppe entwickelte er nach und nach, zuerst nur als Computerbild. Das Photoshop-Projekt „Normal Barbie“ visualisiert, wie eine Barbiepuppe mit realistischen Körpermaßen aussehen würde. Daraufhin wurde er von vielen Leuten gefragt, wo man so eine Puppe kaufen könne. Was ihn schließlich dazu inspirierte, die Idee in die Tat umzusetzen. Er entwickelte den Prototypen einer echten Plastikpuppe.

Die Unterschiede zu Barbie sind dramatisch: Sie hat kürzere und dickere Beine, breitere Hüften und Po, kräftigere Schultern und „flache“ lange Füße. Wenn Barbie real wäre, könnte sie ihr Gewicht des eigenen Kopfes nicht halten und könnte nicht stehen, weil die Füße zu klein wären. Die aus Durchschnittsmaßen basierende Puppe hat keine verzerrten, utopischen Körpermaße, sondern sieht auf realistische Weise schick, stark, sportlich und gesund aus. Sie hat braune lange Haare, braune Augen und trägt dezentes Make-up, nicht die türkisblauen Balken wie Barbie. Nebeneinander gestellt erscheint die Barbie wie die ältere Glamour-Schwester. Lesen fortsetzen

Veröffentlicht in Allgemein, Digital, Gesellschaft, Internet, Mädchen, Reviews, Schönheit | Getaggt , , , , , , , | Hinterlassen Sie einen Kommentar

Altersbilder|Stereotype #14

Altersbilder_Sternburg_Mutti_02
Werbeplakat Sternburg Export Bier. Foto: Metadora

Prototyp #14: Mutti
Fundort: An der Wand im Betahaus (Coworking Space), Berlin

Mutti wacht penibel über den Ruf ihrer Familie. Keiner darf aus der Rolle fallen. Da dringt so etwas derbes, leicht prolliges wie Bier ganz brachial von außen in die bürgerlichen vier Wände und soll die zugeknöpfte Dame in Versuchung bringen. Lesen fortsetzen

Veröffentlicht in Allgemein, Alter, Gesellschaft, Reviews, Stereotype, Werbung | Getaggt , , , , | Hinterlassen Sie einen Kommentar

How to Age – Anleitung zum Älterwerden

Anne Karpf, britische Schriftstellerin, Soziologin und Journalistin hat im Januar ein Buch veröffentlicht: How to Age. Darin untersucht sie die tiefe Angst unserer Gesellschaft vor dem Altern, das zunehmend als biomedizinisches Problem gesehen werde – das um jeden Preis vermieden werden muss. Anne Karpf findet, wir sollten unsere Einstellung ändern.

Altern werde lediglich als unerbittlicher Prozess des Zerfalls gesehen und alte Leute als Ressourcenverschwendung, als reine Last. „Nach diesem Modell sind wir, sobald wir 60 werden (oder 50, oder 40 – suchen Sie es sich aus) nichts, außer alt. Alle anderen Eigenschaften, Eigenheiten und die persönliche Entwicklung sind ausradiert. Wer hätte da keine Angst?“ schreibt Karpf (übersetzt aus dem Englischen). „Das Alter ist so stigmatisiert in unserer Kultur, wir dis-identifizieren uns mit alten Menschen. Sie mögen gealtert sein, aber wir verdammt sicher nicht. Diese Verleugnung kann in jedem Alter auftreten.“ Das erkläre auch, warum Leute sagen: „Ich fühle mich nicht alt“. Als ob das Alter ein bestimmtes spezielles Gefühl bringen würde, anstatt einfach man selbst zu sein, nur älter.

Anne Karpf erforscht, wie unsere Einstellung zum Altern historisch und kulturell definiert ist. Sie bezieht sich auf alte und neue Fallstudien, um nahezulegen, dass Altern eine aktive, bereichernde Zeit immensen Wachstums sein kann. Sogar die Herausforderung unseres Lebens, wenn wir erkennen können, dass Altern ein unvermeidlicher Teil des menschlichen Daseins ist und bereits im Moment der Geburt beginnt.

Kürzlich sind im britischen Guardian zwei lesenswerte Artikel der Autorin erschienen: Older models: the women in their 60s, 70s and 80s who are shaking up fashion und ‚Ageing is a mixture of gains and losses‘: why we shouldn’t fear getting old.

Anne Karpf über „How to Age” in einer Vortrags-Reihe von The School of Life:

Empfohlene Artikel:

Video: Bascha Mika über die unsichtbaren älteren Frauen
Video: Was sind Altersstereotype?

Veröffentlicht in Allgemein, Alter, Gesellschaft, Reviews, Stereotype, Wissen | Getaggt , , , , , , | Hinterlassen Sie einen Kommentar

Altersbilder|Stereotype #13

Silver SurferinPrototyp #13: Die Silver-Surferin
Fundort: Ikea-Katalog 2014

Diese Dame ist die typische Vertreterin der werberelevanten Silver-Surfer Generation: Graues Haar und modischer Schnitt, im schwarz-weiß Animal-Print Look gekleidet, mit gepflegtem Make-Up und manikürten Fingernägeln. Mit dem Zeigefinger auf dem  Smartphone wischt sie sich durch das Ikea-Sortiment oder loggt sich bei der Facebook-Gruppe ein. Äußeres Merkmal ihres fortgeschrittenen Alters ist die Lesebrille und der wegen Alterssichtigkeit große Abstand zum kleinen Display. Gaultier schickt greise Punks auf den Laufsteg, American Apparel lässt weißhaarige 50+ Models für Dessous posieren und Ikea ist auch dabei. Seid umschlungen, ihr wohlhabenden Lifestyle-Rentner! (Aber nur solange ihr ordentlich konsumiert.) Lesen fortsetzen

Veröffentlicht in Allgemein, Alter, Gesellschaft, Internet, Reviews, Stereotype, Werbung | Hinterlassen Sie einen Kommentar