Ikonographische Darstellungen des Alters und Lebenslaufs gab es durch alle Jahrhunderte. Um 1540 etablierte sich ein neues Motiv. Damals brachte Jörg Breu der Jüngere und Cornelis Anthonisz Holzschnitte auf den Markt, die den menschlichen Lebenslauf als auf- und absteigende Treppe darstellten.

Die höchste Stufe wird mit dem fünfzigsten Lebensjahr erreicht. Frauen verschwinden auf den Abbildungen allerdings häufig schon nach ihrem dreißigsten Lebensjahr. Die Lebenstreppen setzten sich in Europa immer mehr durch. Im 17. Jh. waren sie in den Niederlanden, in England, Deutschland, Frankreich und Italien verbreitet.
Auch Tiersymbole wurden zur Charakterisierung der einzelnen Lebensstufen verwendet, etwa 40 = Löwe, 50 = Fuchs, 90 = Esel. Die Lebensalter der Frau wurden in manchen Überlieferungen mit diversen Vogelarten verglichen: 10 Jahre = Wachtel, 20 Jahre = Taube, 30 Jahre= Elster, 40 = Pfau, 50 = Henne, 60 = Gans, 70 = Geier, 80 = Eule, 90 = Fledermaus.


Im 19. Jh. hatte die Lebenstreppe wohl den Höhepunkt ihrer Popularität erreicht. Sie wurde in Massenauflagen gedruckt und fand Eingang in die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Die Lebensalter wurden zunehmend auch nicht mehr getrennt nach Mann und Frau, sondern als Paar auf ihrem gemeinsamen Lebensweg dargestellt. Die Tiersymbole verschwanden und die Kleidung der dargestellten Figuren änderte sich mit dem Zeitgeist und je nach Region. Immer öfter werden häusliche, bürgerliche Szenen integriert.

Das Motiv der Lebenstreppe war im Europa des 16. bis 19. Jh.s die dominierende Darstellungsform des Alterns. In der Realität erreichten damals jedoch nur wenige Menschen das Ende der Treppe. Eine große Zahl gelangte nicht einmal über die erste Stufe hinaus. Viele starben mitten im Leben an Krankheiten oder Unfällen – an Altersschwäche dagegen nur wenige. In Deutschland um 1865 lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer bei etwa 34, die der Frauen bei 37 Jahren, wobei diese Zahl durch die damals hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit etwas verzerrt wird. Vermutlich kam der Altersphase 50+ in den Lebenstreppen der früheren Jahrhunderte auch deshalb eine so geringe Bedeutung zu. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verschwanden die Darstellungen.

Wie würde eine Lebenstreppe heute aussehen? Saul Steinberg, der lange für das Magazin New Yorker arbeitete, hat schon 1954 eine Lebenstreppe gezeichnet, die immer noch aktuell erscheint. Die Bilder der zweiten Lebenshälfte werden einfach ausgeblendet bzw. als Dauerurlaub oder Abstellgleis dargestellt. Statt einer Abwärts-Treppe, die den körperlichen Verfall dokumentiert, steht dort einfach nur ein glatzköpfiger Mann in Bermudashorts mit Sonnenbrille unter einer Palme, im Hintergrund ein Sonnenschirm-Ensemble.

Das Altern ist tabu, es wird um jeden Preis vermieden und zum biomedizinischen Problem stilisiert, das man mit Anti-Aging-Produkten behandeln kann. Steinberg hat für diese Verleugnung ein witziges, geniales Bild gefunden.



Quellen:
Ehmer, Josef: Die Lebenstreppe, Altersbilder, Generationsbeziehungen und Produktionsweisen in der europäischen Neuzeit.
Steinberg, Saul (1954). Steinberg’s Passport. Hamburg: Rowohlt 1976.
Lucke, C und M., Gogol M: Lebenstreppen – oder wie man den Alternsprozess über die Jahrhunderte gesehen hat. In: European Journal of Geriatrics, Jg. 11 (2009), Nr. 3–4, S. 32–140